Zum Inhalt springen

Tagebuch Syrien: Damaskus, 10.9. 2014

12/09/2014

Tagebuch Syrien: Damaskus, 10.9. 2014
Die Rückfahrt ging wieder zügig voran, vorbei an der Kreuzritterburg Qalaat al Marqab, de wie eh und je stolz herunter blickt. Allerdings hat es wohl einen Erdrutsch am Hügel davor mit seinem Wachtturm gegeben, den die Aleppokiefern darauf offensichtlich nicht verhindern konnten, vielleicht im Jahr zuvor, als es viel Regen und Überschwemmungen gab. Dieses Jahr ist es genau umgekehrt, zu wenig Regen! Es war angenehm, auf der Stroße von Tell Kallakh bis Homs wieder nach oben zu fahren und so dieser feuchten Hitze zu entkomen. Das Krak de Chevaliers grüßt wieder von Weitem, von der Straße aus sieht man nicht, wieviel des gelitten hat, solange noch die Festungsmauern einigermaßen stehen.
Viele Restaurants an der Autobahn im Qalamun sind zerstört, aber manche, die gerade neu gebaut werden, haben schon das Erdgeschoss offen und der Bau geht dann halt oben weiter. Wenn ich es richtig identifiziere von der Autbahn aus, dann dürfte das Kloster in Qara noch stehen. Aber was ist mit den Mosaiken im Inneren?

Schwester Agnes vom heiligen Kreuz war hier Oberin und kann hoffentlich bald zurückkehren. Eine Abzweigung nach Deir Mar Musa. Ob das Kloster noch steht und was ist mit den alten Fresken dort? Hat Pater Paolo d’Oglios Eintreten für die FSA in der Welt das von ihm wirklich gut restaurierte Kloster retten können? Wo und in welchem Zustand er jetzt ist, das weiß kein Mensch. Er glaubte sich respektiert wegen seiner Haltung und es hat ihm doch nichts genützt. In Deir Attiyeh etwas Leben, wenn man das von der Autobahn aus beurteilen kann.
40 Millionen Bäume hatte die Regierung in den letzen Jahren zwischen Damaskus und Homs pflanzen lassen. Einige sind schon groß, andere sehen wie Pinsel aus. Aleppokiefern, Zedern, Zypressen und viele verschiedene Obstbäume. Seit der Antike hatte man die Wälder in den Bergen des Libanons, des Antilibanons und des Qalmuns, des Hermongebirges und des Qassiun in Damaskus abholzen lassen, um das Holz für die Mumiensärge zu verwenden (Zedern) oder für kostbare Möbel, und später dann für Schiffe und als Baumaterial. Es freut einen zu sehen, dass die Bäume wengstens noch stehen.
Man sieht die Abzweigung nach Maalula und denkt daran, was dort geschehen ist, die Karawanserei neben der Autostraße ist noch völlig intakt. Dann über Quteifeh nach Adra, wo man sich ebenfalls mit Schaudern erinnert und erstaunt ist, dass das kleine Mausoleum aus mamlukischer Zeit noch aufrecht steht. Zur Sicherheit wieder der Weg über Tell , bis man dann in Damaskus ankommt. Heiß, aber trocken!
Wenn man Papiere machen und deshalb in die Stadt hinein fahren muss, ist das wirklich eine Qual. Zu viele Autos und viele Warteschlangen. Das wird erst gegen Ende des Nachmittags besser, vorher verbringt man zu viel Zeit im Auto, egal ob im eigenen oder im Taxi oder im Mikrobus. In den öffentlichen Bussen hängen die Leute fast aus den Türen heraus, das war vorher anders, die großen Busse wurden die meiste Zeit wenig benutzt. Außerdem findet man in der Stadt kaum einen Parkplatz, solange die Behörden offen sind, so dass man die Stadt bis 16 h möglichst vermeidet, wenn es geht.

Die Luftwaffe bombardiert Jobar heftigst weiter, mit MIGs und Raketen, die vom Qasiun-Berg abgeschossen werden. Wir sehen immer die Rauchwolken hochsteigen.
Gestern wurde die gesamte erste und zweite Führungsriege der Ahrar al Sham bei Idlib durch eine Autobombe ausgelöscht. Wer dahinter steckt, ist nicht klar. Vielleicht soll dies dem ISIL in die Schuhe geschoben werden, aus False Flag-Gründen oder er war es tatsächlich, oder es war jemand Anderes. Abwarten und Tee trinken.
Man ist inzwischen schon so weit, dass man sich sagt: „Um die ist es nicht schade!“ Dann werden wenigstens Zivilisten verschont.

Beim Fotografen, der immer unsere Passbilder machte, haben wir erfahren, dass der eine der Brüder, den wir letztes Mal vor über 2 Jahren noch gesehen hatten, vor zwei Jahren mitsamt seinem Auto auf dem abendlichen Nachhauseweg  nördlich von Damaskus, verschwunden ist. Entführt, ermordet? Das hat uns schon betroffen gemacht.

Inzwischen habe ich ein paar Freundinnen wiedergesehen, viel Freude darüber, weil wir uns schon so lange nicht mehr gesehen hatten. Sehr viele sind ja weg, in alle Länder verstreut. Aber es gibt immer wieder welche, die tapfer aushalten oder hin und her pendeln, was die deutsche Botschaft in Beirut dazu veranlasst hat zu sagen:“Warum sind Sie noch hier? – Wir helfen niemandem!“
Das wundert mich nicht! Deutsche Botschaften haben sich schon immer durch völliges Desinteresse an ihren Landsleuten im Ausland ausgezeichnet. Ich bin immer äußerst ungern in die deutsche Botschaft in Damaskus gegangen und habe dort nur vorgesprochen, wenn es unbedingt nötig war, wegen Papieren oder Pass. Die interessieren sich dort sowieso nur für einen, wenn man viel Geld hat. Das gilt auch für Ausländer, die nur interessant sind, wenn sie Einiges vorweisen können. Ansonsten ist alles Glückssache, ob man ein Visum bekommt oder nicht, ziemlich willkürlich, so nach dem Motto „Alle Menschen sind gleich, aber manche sind gleicher als andere!“
Das gilt auch für die Staatsbürgerschaft: Wenn man viel Geld hat, kann man als Deutsche ruhig eine andere Staatsbürgerschaft annehmen, wenn man nachfragt, wird das oft erlaubt (wegen des Geldes). Normale Sterbliche sind davon ausgeschlossen und verlieren sofort ihre deutsche Staatsbürgerschaft. Das nennt man dann Demokratie!

3 Kommentare leave one →
  1. 12/09/2014 23:05

    Daraa Tel Mal
    Ein Gefangener wird geschlagen und getreten von den sogenannten FSA-Rebellen.Ob sie ihn erschossen haben?

  2. Barbara permalink
    19/09/2014 22:41

    11.9.2014
    Heute ist der 49.Geburtstag des Präsidenten. Ein geschichtsträchtiges Datum: Sturz von Allende in Chile 1973 durch die faschistischen US-Proxis und ihr eigenes False Flag-Verbrechen. Jetzt wissen wir, warum sie den syrischen Präsidenten unter Anderem so hassen. Er erinnert sie an ihre Verbrechen.
    Gedenken an Allende:
    http://www.legrandsoir.info/il-etait-une-fois-le-11-septembre-1973.html

    12. 9.
    Die Nächte werden etwas kühler und somit angenehmer. Das Meer zeigt sich von seiner besten Seite, das Wasser angenehm warm. Von unserem Badeplatz kommen wir an der Sport’s City vorbei, wo so viele Flüchtlinge wohnen, allerdings nur Frauen und Kinder. Fragt man sie , wo denn der Ehemann oder Vater sei, bekommt man als Antwort:“Wissen wir nicht“. Sofort sagen sich die Leute von Lattakia, dass die wohl im „Freiheitskampf“ seien (oder bei Daesh) und ihre Familien in der Obhut der „Unfreiheit“ gelassen haben. Wenigstens unterliegen die nicht der Doktrin der „Freiheitskämpfer“ und Kopfabschneider. Da handelt der syrische Staat schon sehr klug. Die Kinder erhalten Unterricht von freiwilligen Studenten.

    Habe heute meine beste Freundin nach einem Jahr wieder gesehen. Man freut sich einfach wieder, wenn das alte Leben zurück ist. In Damaskus hatte ich auch eine andere Freundin besucht, alles Ausländerinnen, die trotz allem in Syrien aushalten. Die russischen Ehefrauen in Lattakia sind praktisch alle da. Hier und in der unmittelbaren Umgebung ist auch nichts zu spüren vom Krieg, Zum Glück! Hoffentlich bleibt es so!

    14.9.
    Heute ist das Fest des Heiligen Kreuzes (ich weiß nicht einmal, was die entsprechende Bezeichnung auf Deutsch ist). Jedes Jahr wurden an diesem Tag in Maalula Feuerbälle aus Reisig von den Bergen ins Tal hinunter gerollt. Auch dieses Jahr fand ein Gottesdienst in Maalula statt und ein brennender Reisigball fand seinen Weg nach unten. Das macht wirklich zuversichtlich. Die Leute sind des Krieges mehr als überdrüssig und wollen endlich ein Ende und in Ruhe gelassen werden.

    Mehrere Raketen sind über Damaskus niedergegangen und haben wieder Opfer gefordert. Ein letzter Versuch der Terroristen, sich vor ihrem Untergang an der syrischen Bevölkerung zu rächen?

    16.9.
    Wir waren heute in Jableh. Vorher im Dorf mit Orangen- und Zitronenhainen, glücklichen Hühnern und Enten und sauberer Luft. Charakteristisch in den Dörfern von Lattakia und Tartus ist, dass die Leute zwar wenig Geld haben, aber ihre Kinder möglichst in weiterführende Schulen schicken und auf gute Ausbildung Wert legen. Das hat dazu geführt, dass der Lebensstandard der Bevölkerung sich verbesserte. Das ist im Übrigen auch im Regierungsbezirk Sweida und im Qalamun so. In der Ghouta von Damaskus erinnere ich mich an die Frauen von Harran al Awamid, die uns einmal bei einem Besuch des Dorfes zum Tee eingeladen und uns stolz erzählt hatten, dass alle ihre Kinder zur Schule gingen und studierten, während im Nachbardorf das nicht der Fall sei. Das große Problem der Ghouta sind die kinderreichen Familien, obwohl der Staat schon seit Jahren kostenlos Verhütungsmittel zur Verfügung stellt. Es ist auch eine Sache der Mentalität. Viele Väter (die Mütter weniger) sind stolz auf ihre „Männlichkeit“ mit einem großen Stall von Kindern, die möglichst früh Geld hereinbringen sollen, auch wenn die Schulpflicht bis 15 Jahre geht. Deshalb hatte die Frau des Präsidenten vor dem Krieg darauf hingearbeitet, dass die Dörfer entwickelt werden, um die Landflucht zu stoppen und den Menschen eine Zukunft in ihrer gewohnten Umgebung zu ermöglichen. Leider hat der Krieg einen Strich durch dieseRechnung gemacht.
    Das einst fast dorfartige Jableh hat sich in den drei Jahren, die ich es nicht mehr gesehen habe, rapide vergrößert mit vielen höheren Gebäuden. Wir fanden fast die Wohnungen der Verwandten und Freunde nicht mehr.

    17.9.
    Wieder eine Freundin getroffen, die ich schon drei Jahre nicht mehr gesehen habe und die nun ihr Ferienhäuschen im Norden Lattakias genießt. Ihr Mann will nach anderthalb Jahren Abwesenheit Syrien nicht mehr verlassen. Er begann, Depressionen zu entwickeln und abzumagern. Ihr Häuschen war zwar völlig verdreckt und vieles funktionierte nicht mehr nach drei Jahren Abwesenheit, so dass die ersten Tage ein einziges Reparieren und Saubermachen darstellten, aber er blüht wieder auf. Wir werden uns alle in Damaskus treffen.
    Sie erzählte mir von einer Nachbarin in Dummar, am westlichen Stadtrand von Damaskus, das auch in 20 Jahren von einem Dorf zu einem neuen Stadtteil mit über 400000 Einwohnern gewachsen ist. Der neue Teil nennt sich jetzt New Sham – Neu-Damaskus. Als meine Freundin dort ankam, sah sie eine konservative Nachbarin, die sie die Jahre zuvor kaum gegrüßt hatte und ihr jetzt um den Hals fiel voller Freude, sie zu sehen. Man kann nie hinter die Fassade der Menschen sehen. Die Leute hier freuen sich einfach riesig, wenn sie sehen, dass Ausländer oder meistens eher Ausländerinnen wieder zurückkehren und nicht alle fortbleiben. Irgendwie hat das einen psychologischen Effekt und gibt Hoffnung.

    Hier in Lattakia versichern sich die Nachbarn verschiedener Glaubensrichtungen gegenseitig ihrer Solidarität und halten zusammen. Ein gutes Zeichen! Aber ob das überall so ist, bezweifle ich, vor allem wenn Leute schlimme Erfahrungen mit ehemaligen Nachbarn gemacht haben. Hoffentlich greifen die verschiedenen Versöhnungsprogramme. Da liegt ein gutes Stück Arbeit vor den Behörden und Freiwilligen.
    Im Libanon werden Syrer immer mehr angefeindet und als „Daesh“ beschimpft. Wenn man bedenkt, dass schon vor dem Krieg etwa 1 Million Syrer im Libanon arbeiteten und mit den „Freiheitskämpfern“ so gar nichts zu tun haben, während libanesische „Freiheitskämpfer“ in Syrien unterwegs sind, dann sieht man wieder, wie die amerikanische Propaganda wirkt. Wie viele Libanesen waren während der israelischen Invasion in Syrien wie selbstverständlich aufgenommen worden! Und Hilfe von außen gab es kaum. Somalis, Sudanesen, Iraker – Syrien hat immer Flüchtlinge aufgenommen und versucht, sie zu integrieren. Auch wenn es darauf hinarbeitete, dass die Flüchtlinge wieder in ihr Land zurückkehren können wie die Palästinenser, die sogar beim Staat angestellt sind, aber auch ihre eigene Verwaltung haben. Das hat natürlich politische Gründe.

    18.9.
    Noch einmal im Dorf im Süden und dann bei Ras Shamra- Ugarit im Norden von Lattakia. Alles wie es immer war, sehr schön. Orangenhaine, alles grün, ein Traum! Der Krieg ist weit weg.
    In Deir-Ezzor wird den Terroristen der garaus gemacht.
    Im Friedhof viele Märtyrer. Alle erzählen mir, dass die meisten Märtyrer von der Küste stammen. Eine Familie hat ihre 6 Söhne verloren. Da holt einen der Krieg wieder ein.

    Im Regierungsbezirk Hama hat die Armee große Lager mit chemischen Substanzen zur Herstellung chemischer Waffen entdeckt, die aus der Türkei, Saudiarabien und Kuweit stammen.

    Morgen früh geht es wieder nach Damaskus zurück. Hier in Lattakia hatte ich wenigstens Internet, wenn auch öfter mal mit Schwierigkeiten. Das ist morgen dann zu Ende und ich weiß dann wieder nicht, wann ich etwas hochladen kann. Mal sehen!

Hinterlasse eine Antwort zu urs1798 Antwort abbrechen